16 Minuten Lesezeit · 25. August 2025
ADHS Diagnose Erwachsene: Ihr Weg zu Klarheit und Selbstverständnis


Inhaltsverzeichnis
Viele Erwachsene kennen das Gefühl, anders zu funktionieren – und das schon seit Jahren, ohne je eine passende Erklärung dafür zu finden. Der Weg zur ADHS-Diagnose für Erwachsene beginnt oft mit einem leisen Verdacht: Was, wenn die ständigen inneren Kämpfe und das Gefühl, nicht ins System zu passen, nicht auf persönliches Versagen zurückzuführen sind?
Den eigenen Verdacht ernst nehmen
Das öffentliche Bild von ADHS ist leider oft noch vom klischeehaften „Zappelphilipp“ aus der Kindheit geprägt. Im Erwachsenenalter zeigt sich diese neurologische Variante jedoch meist subtiler. Statt sichtbarer motorischer Unruhe dominiert oft eine intensive innere Getriebenheit, ein nicht enden wollendes Rauschen im Kopf oder eine tiefgreifende Erschöpfung durch ständige Anpassungsleistungen.
Dieses innere Erleben führt zu Verhaltensmustern, die für ein neurotypisches Umfeld schwer nachvollziehbar sind. Vielleicht erkennen Sie sich darin wieder: Sie verfügen über viele Talente, bleiben aber beruflich oder privat gefühlt weit unter Ihren Möglichkeiten. Sie stürzen sich mit riesiger Begeisterung in neue Projekte, nur um das Interesse zu verlieren, sobald die erste Routine aufkommt.
Jenseits der pathologisierenden Klischees schauen
Die Merkmale von ADHS bei Erwachsenen sind extrem vielfältig und gehen weit über reine Konzentrationsschwierigkeiten hinaus. Sie können in allen möglichen Lebensbereichen auftauchen:
- Aufgaben-Initiierungsschwierigkeiten (Prokrastination): Sie wissen genau, was zu tun ist, aber der Anfang gelingt einfach nicht. Erst wenn der Druck unerträglich wird, kommen Sie in die Gänge.
- Intensive emotionale Reaktionen: Kritik oder das Gefühl von Ablehnung treffen Sie unverhältnismäßig hart. Dieses Phänomen ist auch als Rejection Sensitivity Dysphoria (RSD) bekannt und kann Beziehungen enorm beeinflussen.
- Hyperfokus: Sie können sich stundenlang in eine Aufgabe vertiefen, die Sie wirklich fasziniert, während alltägliche Pflichten wie das Bezahlen von Rechnungen unüberwindbar scheinen.
- Herausforderungen in der Alltagsorganisation: Ihr Haushalt fühlt sich oft chaotisch an, Sie vergessen ständig Termine und Ihr Zeitmanagement ist ein permanenter Kampf.
Diese Muster sind keine moralischen Fehler. Sie sind der Ausdruck einer spezifischen neurobiologischen Veranlagung.
Der entscheidende Perspektivwechsel besteht darin, die eigenen Verhaltensweisen nicht länger als persönliches Versagen zu werten, sondern als Ausdruck einer spezifischen neurologischen Funktionsweise. Dieser Schritt ist der eigentliche Beginn der Selbstakzeptanz.
ADHS ist keine Seltenheit
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, sind Sie nicht allein. In Deutschland leben schätzungsweise 2,5 % bis 4,7 % der erwachsenen Bevölkerung mit einem ADHS-Nervensystem. Interessanterweise gleicht sich das Geschlechterverhältnis im Erwachsenenalter an, während im Kindesalter noch viel häufiger Jungen diagnostiziert werden. Das liegt oft daran, dass die Merkmale bei Mädchen und Frauen subtiler sind und lange durch clevere Kompensationsstrategien verdeckt werden.
Die Ursachen dafür sind komplex: Genetische Veranlagungen spielen mit Umweltfaktoren zusammen und beeinflussen die neuronalen Regelkreise im Gehirn. Mehr über die wichtigen Zahlen und Fakten zu ADHS bei Erwachsenen erfahren Sie auf adhs.info.
Den eigenen Verdacht ernst zu nehmen, ist der erste und vielleicht mutigste Schritt auf dem Weg zu einer möglichen ADHS-Diagnose für Erwachsene. Es geht nicht darum, sich ein pathologisierendes Label aufzukleben, sondern darum, ein Leben lang andauernde Fragen zu beantworten – und endlich ein passendes Unterstützungssystem für sich zu entdecken.
Die richtigen Expert*innen für die Diagnostik finden
Steht der Verdacht auf ADHS einmal im Raum, beginnt für viele eine frustrierende Suche. Die passenden Fachleute für eine ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter aufzuspüren, ist leider alles andere als einfach. Viele Praxen sind überlaufen oder ihnen fehlt die spezifische Erfahrung mit der komplexen Ausprägung, wie sie sich bei Erwachsenen zeigt.
Aber es gibt gute Nachrichten: Spezialisierte Anlaufstellen existieren. Meist führt der Weg zu Psychiaterinnen oder zu psychologischen Psychotherapeutinnen. Auch manche Unikliniken oder spezialisierte Ambulanzen sind eine gute Adresse. Entscheidend ist, dass die Praxis explizit Erfahrung mit der Diagnostik von Erwachsenen hat, denn die unterscheidet sich erheblich von der bei Kindern.
Worauf Sie bei der Auswahl achten sollten
Nicht jede Praxis, die ADHS diagnostiziert, versteht auch die neurodivergente Perspektive. Es ist wichtig, bei der Auswahl darauf zu achten, dass die Fachperson Ihre Erfahrungen nicht einfach pathologisiert, sondern als eine besondere neurologische Veranlagung begreift.
Hier sind ein paar Anhaltspunkte, die auf eine gute Anlaufstelle hindeuten:
- Spezialisierung auf Erwachsene: Die Praxis sollte klar kommunizieren, dass sie Erwachsene diagnostiziert. Die Merkmale sehen einfach anders aus als bei Kindern.
- Wissen über Gender-Unterschiede: Ein ganz wichtiger Punkt. Besonders bei Frauen und nicht-binären Personen zeigt sich ADHS oft viel subtiler und stärker nach innen gekehrt (internalisiert).
- Ein neurodiversitäts-bejahender Ansatz: Schon die Website oder das Praxiskonzept sollte durchscheinen lassen, dass es nicht nur um Defizite geht, sondern auch darum, die damit verbundenen Stärken zu sehen und wertzuschätzen.
- Ein transparenter Prozess: Eine seriöse Praxis wird Ihnen den Ablauf der Diagnostik – mehrere Termine, verschiedene Bausteine – klar und verständlich erklären können.
Leider wird ADHS bei Erwachsenen immer noch massiv unterdiagnostiziert. Eine deutsche Studie hat ergeben, dass nur bei 0,2 % der Erwachsenen eine ADHS-Diagnose in den Gesundheitsdaten auftauchte, obwohl Schätzungen von einer Verbreitung von etwa 2,5 % ausgehen. Diese riesige Lücke macht schmerzlich klar, wie wichtig spezialisierte und gut informierte Fachleute sind. Mehr zu den Hintergründen und Kosten von nicht diagnostiziertem ADHS finden Sie in dieser Studie.
Die Vorbereitung auf das Erstgespräch
Um das Meiste aus Ihrem Termin herauszuholen, ist eine gute Vorbereitung Gold wert. Damit helfen Sie nicht nur der diagnostizierenden Person, sondern vor allem sich selbst, die eigenen Gedanken zu sortieren und im entscheidenden Moment nichts Wichtiges zu vergessen.
Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Erstgespräch liegt darin, Ihre Lebenserfahrungen als Daten zu betrachten, nicht als eine Liste von Fehlschlägen. Sie sind die Expertin/der Experte für Ihr Leben – die Fachperson liefert nur den diagnostischen Rahmen.
Sammeln Sie im Vorfeld alles, was ein Licht auf Ihre bisherige Lebensgeschichte werfen könnte. Das meint nicht nur offizielle Dokumente, sondern auch ganz persönliche Notizen und Beobachtungen.
Checkliste für Ihre Unterlagen:
- Alte Schulzeugnisse: Hier können gerade die Kopfnoten oder schriftliche Bemerkungen zum Arbeits- und Sozialverhalten unglaublich aufschlussreich sein.
- Arbeitszeugnisse: Wiederholen sich dort Formulierungen zu Themen wie Organisation, Teamfähigkeit oder Belastbarkeit? Das können wertvolle Hinweise sein.
- Eigene Notizen: Schreiben Sie ganz konkrete Beispiele aus verschiedenen Lebensbereichen auf (Beruf, Beziehungen, Haushalt), die Ihre Herausforderungen illustrieren.
Die richtige Unterstützung kann diesen Prozess enorm erleichtern. Wenn Sie sich unsicher sind, wie Sie Ihre Erfahrungen am besten auf den Punkt bringen, kann ein spezialisiertes Selbstcoaching-Programm dabei helfen, Ihre Gedanken zu strukturieren und Sie optimal auf die nächsten Schritte vorzubereiten.
Der Ablauf des diagnostischen Prozesses
Eine ADHS-Diagnose für Erwachsene ist kein Schnelltest, den man mal eben in einer Mittagspause erledigt. Ganz im Gegenteil: Es ist ein sorgfältiger, mehrstufiger Prozess, der Ihre gesamte Lebensgeschichte unter die Lupe nimmt. Viele haben vor diesem Schritt eine Riesenangst, aber zu verstehen, was genau auf Sie zukommt, kann viel von dieser Unsicherheit nehmen und Sie optimal vorbereiten.
Stellen Sie sich den Prozess wie die Arbeit eines Detektivs vor. Es werden nach und nach verschiedene Hinweise gesammelt, um am Ende ein schlüssiges Gesamtbild zu erhalten. Kein einzelnes Puzzleteil entscheidet, sondern die Gesamtheit aller Informationen. Es geht darum, Ihre Erfahrungen, Stärken und Schwierigkeiten endlich in einen neurobiologischen Kontext zu setzen – und sie nicht länger als persönliche Schwächen abzustempeln.
Diese Grafik veranschaulicht ganz gut die typischen Schritte, von der ersten Kontaktaufnahme bis zum abschließenden Gespräch.
Man sieht sofort: Eine fundierte Diagnose stützt sich auf mehrere Säulen. Sie basiert niemals nur auf einem einzelnen Test oder Gespräch.
Das anamnestische Gespräch als Kernstück
Der absolut wichtigste Baustein des Ganzen ist das ausführliche anamnestische Gespräch. Hier geht es um Ihre Biografie, und zwar von Anfang an. Die diagnostizierende Person wird ganz gezielte Fragen zu Ihrer Kindheit und Jugend stellen. Oft werden dabei auch alte Schulzeugnisse hervorgekramt, denn Bemerkungen zum Arbeits- und Sozialverhalten können schon früh Hinweise liefern, selbst wenn die Noten vielleicht gestimmt haben.
Es geht darum, Muster zu erkennen, die sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben ziehen. Wie haben Sie sich in der Schule gefühlt? Wie lief das mit Freundschaften? Welche Hürden gab es im Studium oder später im Job? Viele Erwachsene erleben genau hier ein riesiges „Aha-Erlebnis“, wenn Puzzleteile ihrer Vergangenheit plötzlich einen Sinn ergeben.
Fragebögen und Tests zur Objektivierung
Um das sehr persönliche Gespräch mit objektiveren Daten zu untermauern, kommen standardisierte Fragebögen und psychometrische Tests ins Spiel. Diese Instrumente sind wissenschaftlich geprüft und helfen dabei, die Ausprägung der ADHS-Merkmale besser einzuschätzen.
- Selbstbeurteilungsbögen: Hier schätzen Sie selbst ein, wie stark bestimmte Merkmale – Unaufmerksamkeit, Impulsivität oder die berüchtigte emotionale Achterbahnfahrt – bei Ihnen ausgeprägt sind.
- Fremdbeurteilungsbögen (Fremdanamnese): Eine Person, die Sie gut kennt, zum Beispiel Ihr Partner, ein Elternteil oder ein langjähriger Freund, wird gebeten, ebenfalls einen Fragebogen auszufüllen. Dieser Blick von außen ist unglaublich wertvoll, weil er die Selbstwahrnehmung ergänzt und blinde Flecken aufdecken kann.
- Neuropsychologische Tests: Das sind meist computergestützte Aufgaben, die kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Impulskontrolle unter ganz klaren Bedingungen messen.
Eine seriöse ADHS-Diagnose für Erwachsene stützt sich niemals allein auf das Ergebnis eines Fragebogens. Die Tests sind wichtige Werkzeuge, aber sie ersetzen nicht die klinische Erfahrung und das ausführliche Gespräch mit der Fachperson.
Um den Prozess noch greifbarer zu machen, hier eine Übersicht der typischen Phasen in Tabellenform.
Ablauf der ADHS-Diagnostik für Erwachsene
Diese Tabelle fasst die typischen Phasen und Bestandteile des diagnostischen Prozesses zusammen, um einen klaren Überblick zu schaffen.
Phase | Inhalt | Ziel |
---|---|---|
Erstgespräch & Screening | Erste Einschätzung der Merkmale, Klärung des Verdachts, Ausfüllen erster Screening-Fragebögen. | Feststellen, ob eine umfassende Diagnostik sinnvoll ist. |
Anamnese | Ausführliches biografisches Interview über Kindheit, Schulzeit, Beruf und soziale Beziehungen. Oft unter Einbezug von Schulzeugnissen. | Muster und lebenslange Merkmale identifizieren, die auf ADHS hindeuten. |
Psychometrische Testung | Einsatz standardisierter Selbst- und Fremdbeurteilungsbögen sowie computergestützter neuropsychologischer Tests. | Objektivierung der Merkmale und Messung kognitiver Funktionen. |
Differenzialdiagnostik | Körperliche Untersuchung (z.B. Blutbild) und Abklärung anderer psychischer Zustände (z.B. Depression, Angststörungen, Trauma). | Ausschluss anderer Ursachen für die Symptome. |
Diagnosestellung & Beratung | Zusammenführung aller Ergebnisse, Besprechung der Diagnose und gemeinsames Erarbeiten der nächsten Schritte. | Klarheit schaffen und einen individuellen Unterstützungs- oder Coaching-Plan entwickeln. |
Diese Struktur stellt sicher, dass alle relevanten Informationen gesammelt werden, bevor eine endgültige Diagnose gestellt wird.
Differenzialdiagnostik als Sicherheitsnetz
Ein ganz entscheidender Schritt im Prozess ist der Ausschluss anderer möglicher Ursachen für Ihre Symptome. Das nennt sich Differenzialdiagnostik. Denn Konzentrationsprobleme oder innere Unruhe können schließlich auch durch ganz andere Dinge ausgelöst werden.
Deshalb gehört auch eine umfassende körperliche Untersuchung dazu, inklusive Blutbild, um zum Beispiel eine Schilddrüsenfehlfunktion auszuschließen. Gleichzeitig wird geprüft, ob vielleicht andere psychische Bedingungen wie Depressionen, Angststörungen oder eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen, die oft sehr ähnliche Symptome hervorrufen können.
Dieser Schritt ist quasi das Sicherheitsnetz, das dafür sorgt, dass die Diagnose am Ende wirklich sitzt und die richtige Unterstützung für Sie gefunden werden kann. Erst wenn all diese Informationen zusammengetragen sind, wird in einem abschließenden Gespräch die Diagnose gestellt und das weitere Vorgehen besprochen.
Die Diagnose als Beginn eines neuen Selbstverständnisses
Eine ADHS-Diagnose als Erwachsene zu bekommen, ist oft ein Moment, der das ganze bisherige Leben in ein völlig neues Licht rückt. Viele beschreiben eine Welle widersprüchlicher Gefühle: Auf der einen Seite eine tiefe Erleichterung, endlich eine Erklärung für die jahrzehntelangen Kämpfe zu haben. Auf der anderen Seite aber auch eine Trauer über einen Weg, der so viel einfacher hätte sein können.
Dieser Moment ist jedoch so viel mehr als nur ein medizinisches Etikett. Er markiert den Anfang von einem ganz neuen Verständnis für sich selbst. Die Diagnose gibt Ihnen quasi die Erlaubnis, Ihre eigene Lebensgeschichte neu zu bewerten – nicht mehr durch die Brille des persönlichen Versagens, sondern durch das Verständnis einer spezifischen, neurobiologischen Funktionsweise.
Die eigene Geschichte umschreiben
Plötzlich ergeben unzählige Puzzleteile einen Sinn: die ständigen Jobwechsel, die intensiven, aber oft kurzen Freundschaften, das quälende Gefühl, trotz hoher Intelligenz immer unter den eigenen Möglichkeiten zu bleiben. Das alles waren keine Charakterschwächen. Es waren Ausdrucksformen eines ADHS-Gehirns, das unentwegt nach Stimulation, Neuem und Bedeutung sucht.
Die Diagnose ist kein Endpunkt, sondern ein Kompass. Sie zeigt nicht, was mit Ihnen „falsch“ ist, sondern gibt Ihnen die Richtung vor, wie Sie mit Ihrer einzigartigen neurologischen Ausstattung im Einklang leben können.
Anstatt sich weiterhin auf vermeintliche Defizite zu konzentrieren, eröffnet die Diagnose eine völlig neue Perspektive. Sie ermöglicht es Ihnen, sich selbst mit mehr Mitgefühl und Akzeptanz zu begegnen und die oft übersehenen Stärken zu erkennen, die damit einhergehen.
Von vermeintlichen Schwächen zu echten Stärken
ADHS ist nicht nur eine Liste von Herausforderungen. Es ist auch untrennbar mit außergewöhnlichen Fähigkeiten verbunden, die in einer neurotypisch geprägten Welt oft übersehen oder missverstanden werden.
- Hohe Kreativität und divergentes Denken: Die Fähigkeit, unkonventionelle Verbindungen zu sehen und innovative Lösungen zu finden, wo andere nur Mauern sehen.
- Hyperfokus: Eine fast übermenschliche Konzentrationsfähigkeit für Themen, die eine echte Leidenschaft wecken.
- Krisenfestigkeit: Die Gabe, in chaotischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und intuitiv die richtigen Entscheidungen zu treffen.
- Tiefe Empathie: Ein feines Gespür für die Emotionen anderer, oft verbunden mit einem starken Gerechtigkeitssinn.
Diese Diagnose kann ein mächtiges Werkzeug zur Selbstermächtigung sein. Sie befreit von dem jahrelangen Druck, sich an Normen anpassen zu müssen, die nie für Ihr Gehirn gemacht waren. Studien zeigen, dass bei etwa 60 % der als Kinder diagnostizierten Personen wesentliche Merkmale bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben. Diese Daten unterstreichen, wie wichtig es ist, die Versorgungslage für Erwachsene zu verbessern und die Diagnose als Chance für ein authentischeres Leben zu begreifen. Mehr über die Häufigkeit und Verteilung von ADHS in Deutschland können Sie hier nachlesen.
Der Weg nach der Diagnose ist eine Entdeckungsreise. Erfahren Sie in unserem weiterführenden Artikel mehr über die Besonderheiten von ADHS bei Erwachsenen und wie Sie ein Leben gestalten können, das Ihren Bedürfnissen wirklich entspricht.
So bauen Sie Ihr persönliches Support-System auf
Die ADHS-Diagnose für Erwachsene ist in der Tasche. Und jetzt? Für viele taucht genau diese Frage auf, sobald die erste Erleichterung über die Klarheit verflogen ist. Die Diagnose ist ein riesiger Schritt, keine Frage. Aber die eigentliche Arbeit fängt erst danach an: ein Leben zu gestalten, das zu Ihrer ganz speziellen neurologischen Verdrahtung passt. Es geht nicht darum, Sie zu „reparieren“, sondern ein maßgeschneidertes Netz aus Unterstützung zu knüpfen, das Ihnen hilft, Ihre Stärken endlich richtig auszuspielen.
Medikamente können dabei ein nützlicher Baustein sein, aber sie sind selten die alleinige Lösung. Ein Weg, der wirklich nachhaltig ist, entsteht erst durch eine clevere Kombination verschiedener Ansätze – ganz individuell auf Ihre Bedürfnisse und Ihren Alltag zugeschnitten.
Strategien jenseits der Medikamentenschublade
Ein ganzheitlicher Ansatz nimmt verschiedene Lebensbereiche in den Blick. Im Grunde geht es darum, Werkzeuge und Strategien zu finden, die Ihnen im täglichen Chaos helfen und Ihr Wohlbefinden steigern.
- Psychotherapie: Psychotherapie ist zwar nicht darauf ausgelegt, das Nervensystem zu managen, aber es kann sehr hilfreich dafür sein, die Traumata anzugehen, die durch ein Leben voller negativer Rückmeldungen entstehen können. Wichtig ist dabei, eine therapeutische Hilfe zu finden, die etwas von Neurodiversität versteht.
- Selbstcoaching: Im Gegensatz zur Therapie, welche dabei helfen kann, die Vergangenheit aufzuarbeiten und neu zu betrachten, geht es beim Selbstcoaching darum, zu lernen, wie man mit dem eigenen Nervensystem im hier und jetzt umgeht. Gemäß dem Leitsatz "pills don't give skills" lernt man dabei, die eigenen Gefühle zu regulieren und die Lebensgestaltung an das eigene Nervensystem anzupassen.
Ein wirksames Unterstützungssystem ist kein starres Korsett. Stellen Sie es sich eher wie ein lebendiges Netzwerk vor – aus Menschen, Werkzeugen und Umgebungen, das sich mit Ihnen und Ihren Bedürfnissen mit der Zeit verändert und weiterentwickelt.
Die Kraft von Gemeinschaft und Umgebung
Das Wichtigste ist: Sie müssen diesen Weg nicht alleine gehen. Der Austausch mit anderen, die ganz ähnliche Erfahrungen machen, kann eine unglaublich stärkende Erfahrung sein. Plötzlich merken Sie, dass Sie nicht allein sind, und das durchbricht das Gefühl der Isolation, das so viele von uns kennen.
Gleichzeitig spielt Ihr direktes Umfeld eine riesige Rolle. Oft sind es die kleinen Anpassungen, die den größten Unterschied machen. Das kann heißen, Ihren Arbeitsplatz so umzugestalten, dass er reizarm ist, oder ganz bewusst kleine Achtsamkeitsübungen in Ihren Tag einzubauen, um Ihr überdrehtes Nervensystem runterzufahren.
Mögliche Bausteine für Ihr System:
- Peer-Support-Gruppen: Sich mit anderen neurodivergenten Menschen auszutauschen, gibt einem nicht nur Bestätigung, sondern auch praktische Tipps, die in keinem Lehrbuch stehen.
- Achtsamkeit und Körperarbeit: Techniken wie Meditation, Yoga oder einfach nur Spaziergänge in der Natur können helfen, die innere Unruhe zu bändigen und die Verbindung zum eigenen Körper wieder zu spüren.
- Bewusste Umfeldgestaltung: Finden Sie heraus, was Ihnen Energie raubt und was Ihnen guttut. Schaffen Sie sich ganz bewusst kleine Inseln der Ruhe und Ordnung in Ihrem Alltag.
Dieses persönliche „Support-System“ aufzubauen, ist ein aktiver Prozess der Selbstfürsorge. Es bedeutet, die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden in die Hand zu nehmen und ein Leben zu führen, das nicht gegen, sondern mit Ihrem ADHS-Gehirn arbeitet.
Häufig gestellte Fragen zur ADHS-Diagnose
Auf dem Weg zu einer ADHS-Diagnose für Erwachsene tauchen immer wieder die gleichen, drängenden Fragen auf. Sie sind ein klares Zeichen dafür, wie viele Unsicherheiten und Mythen noch immer um dieses Thema kreisen. Hier finden Sie klare, wissenschaftlich fundierte Antworten, die letzte Zweifel ausräumen und Ihnen Sicherheit für Ihren Weg geben sollen.
Diese Fragen spiegeln oft die Sorge wider, nicht ernst genommen zu werden oder vor unüberwindbaren Hürden zu stehen. Doch Wissen ist der erste und wichtigste Schritt zur Selbstermächtigung.
Ist eine medikamentöse Behandlung nach der Diagnose Pflicht?
Nein, absolut nicht. Medikamente sind eine Option, aber niemals eine Verpflichtung. Diese Entscheidung treffen Sie immer gemeinsam und auf Augenhöhe mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
Viele Erwachsene finden ihren Weg in einer Kombination aus neuroaffirmativem Coaching, gezielten Anpassungen im Alltag und Therapie. Medikation kann ein wertvolles Werkzeug sein, um das Gehirn zu unterstützen – sie ist aber immer nur ein möglicher Baustein eines ganzheitlichen Ansatzes, der zu Ihnen und Ihrem Leben passen muss.
Werden die Kosten für die Diagnostik von der Krankenkasse übernommen?
In der Regel ja. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernehmen die Kosten für eine ADHS-Diagnostik bei Erwachsenen, solange sie bei Fachleuten mit Kassenzulassung durchgeführt wird. Das können Psychiaterinnen, Psychotherapeutinnen oder spezialisierte Ambulanzen sein.
Wichtig ist, das immer vorab explizit zu klären. Bei reinen Privatpraxen oder Selbstzahler-Angeboten müssen die Kosten oft selbst getragen werden. Ein kurzes Telefonat mit der Praxis und Ihrer Krankenkasse schafft hier schnell Klarheit und vermeidet böse Überraschungen.
Kann ich ADHS haben, auch wenn ich in der Schule gut war?
Ja, das ist sogar sehr typisch. Viele Erwachsene mit ADHS, insbesondere Frauen und Personen mit dem vorwiegend unaufmerksamen Erscheinungsbild, waren in der Schule völlig unauffällig oder sogar leistungsstark.
Oft wurden die Schwierigkeiten durch eine hohe Intelligenz, extremen Perfektionismus oder schiere Willenskraft kompensiert (Masking). Die persönliche Belastungsgrenze wird dann häufig erst im Studium, im anspruchsvollen Berufsleben oder mit der Gründung einer Familie erreicht, wenn die alten Kompensationsstrategien einfach nicht mehr ausreichen. Um ein erstes Gefühl für Ihre neurodivergenten Züge zu bekommen, kann ein fundierter Neurodiversität-Test eine wertvolle erste Orientierung bieten.
Wie lange dauert der gesamte Diagnoseprozess?
Das lässt sich pauschal kaum beantworten, da es stark variiert. Die größte Hürde sind leider oft die monatelangen Wartezeiten auf einen Termin bei spezialisierten Fachleuten. Hier ist Geduld gefragt – auch wenn es schwerfällt.
Der eigentliche diagnostische Prozess selbst erstreckt sich meist über mehrere Termine innerhalb einiger Wochen. Eine seriöse ADHS-Diagnose für Erwachsene braucht Zeit, um ein umfassendes Bild Ihrer Lebensgeschichte zu zeichnen. Eine schnelle „Diagnose in einer Sitzung“ ist daher unseriös und sollte Sie skeptisch machen.
Möchten Sie tiefer in das Verständnis Ihrer eigenen neurologischen Veranlagung eintauchen? Bei Zensitively unterstützen wir Sie dabei, Ihr Nervensystem zu verstehen und ein Leben zu gestalten, das wirklich zu Ihnen passt.

Das Zensitively Team besteht aus einer kleinen Gruppe von neurodivergenten Expert*innen und Autor*innen, die sich leidenschaftlich für Neurodiversität einsetzt.
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